BRA-Mitgliederinfo 1/23

 

Mitgliederinformation 1/23

 

Bundesvorstandssitzung in Weimar im Rahmen des 23. Deutschen Richter- und Staatsanwaltstages

 

Von 29. bis 31.03.2023 fand der 23. Deutsche Richter- und Staatsanwaltstag des Deutschen Richterbundes in Weimar statt. Neben vielen anderen Richterinnen und Richtern aus der ganzen Bundesrepublik nahm auch der Bundesvorstand des Bundes der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit (BRA) hieran teil. Es waren drei erkenntnisreiche Tage unter dem Leitthema „Programmiertes Recht – absolute Gerechtigkeit?“ Dr. Martin Hejma, stellvertretender Vorsitzender im Bundesvorstand des BRA, hat hierzu folgenden Bericht verfasst.

„Alexa, ich schreib mein Urteil lieber selbst!“

In Estland gibt es ihn schon, den Robo-Richter. In zivilrechtlichen Streitigkeiten bis 7.000 € Streitwert entscheidet dort künstliche Intelligenz die Fälle. Wer zu einem Richter aus Fleisch und Blut möchte, muss erst Einspruch gegen diese automatisierte Entscheidung einlegen, erklärt Moderator Stephan Detjen vom Deutschlandfunk der verdutzten Zuhörerschaft in der „Weimarhalle“.

„Legal Tech – schöne neue Welt?“ hieß die Einführungsveranstaltung der bisher größten Jahrestagung des Deutschen Richterbundes (DRB) mit über 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, dem 23. Deutschen Richter- und Staatsanwaltstag. Professor Dr. Katharina Zweig oblag es, als erste in großer Runde zu dem Thema zu sprechen. Sie fragte: Kann künstliche Intelligenz (KI) gerecht urteilen? Als Informatikprofessorin an der RheinlandPfälzischen Technischen Universität vermochte sie es, einen frischen und vor allem interdisziplinären Blick auf das Thema von automatisierten Urteilen zu werfen. 

Gut nachvollziehbar leitete sie her, warum zum einen Gerechtigkeitsmaßstäbe, mit denen eine KI gefüttert wird, widersprüchliche Wertungen enthalten und zum anderen, warum fehlende Begründungen ein weiteres Problem bei der Entscheidungsfindung durch KI sind. „Gerechtigkeit kann man nicht lernen, indem man sich viele Beispiele anschaut.“ fasste sie die Lage zusammen. Genugtuung im Saal. KI kann es nicht. Und wir schon! 

 

15 Jahre Rückstand zu digital modernen Ländern

 

Sina Dörr, Richterin und Co-Leiterin des Think Tanks „Legal Tech und KI“ beim OLG Köln, schloss an den gelungenen Vortrag von Zweig gleich nahtlos an, sprach die Zuhörerschaft als Kollegin nun direkt an und hinterlegte eindeutige Botschaften:

15 Jahre liege man hinter modernen digitalen europäischen Justiznationen zurück. 15 Jahre. Zurück im Jahr 2008. Anhand des Beispiels von Masseverfahren, bei denen „Repeat-Player“ aus der Anwaltschaft gegen „One Shot Player“ in der Justiz spielten, zeigte Dörr eindrucksvoll auf, wie groß der Handlungsbedarf im Bereich der Digitalisierung der Justiz ist. 

Ein ebenso überzeugendes wie engagiertes Plädoyer für eine weitreichende, digitale Erneuerung der Prozesse in der Justiz. Nötig sei nicht weniger als eine „Mission to the Moon.“ Eine Vision wie sie einst John F. Kennedy umgesetzt habe. Es gehe schließlich um nicht weniger als die Funktionsfähigkeit der Rechtsstaatlichkeit. 

Recht hat sie und dennoch fehlt es wohl nicht nur an einer großen Vision im Bereich der Digitalisierung der Justiz, also dem Mut neu zu denken. Woran es fehlen könnte, konnte man gleich am Namen der Folgeveranstaltung, einer Podiumsdiskussion, ablesen:

„Alexa, wie lautet mein Urteil?“ 

Unsere Systeme haben zuvorderst dringenden Nachholbedarf bei sehr irdischen Fragen, wie dem effizienten Umgang mit Meta-Daten oder der einfachen Versendung von E-Akten an andere Gerichte. Alexa ein Urteil schreiben zu lassen? Alisha Andert, Vorsitzende des Deutschen Legal Tech Verbandes brachte es so auf den Punkt: „Es steht schon nicht zur Debatte“. Weder fordere irgendjemand im aktuellen Diskurs automatisiert erstellte Urteile, noch könnten wir sie technisch mit unseren E-Aktensystemen erstellen lassen. „Unsere Diskussion ist auf dem Mond, unsere digitale Realität ist auf dem Boden“, fasste Andert die unbefriedigende Schwerpunktsetzung der Diskussion treffend zusammen. 

 

Buhrufe und Pfiffe beim Thema Online-Verhandlungen

Dabei ist es keineswegs ein Widerspruch, einerseits mit Dörr eine große Vision zu haben und dennoch zunächst ganz irdische Themen anzugehen. Dörr spricht sich dafür aus, zunächst einmal nicht jede computergestützte Anwendung gleich pauschal als KI negativ zu framen. Lieber solle man den Blick darauf konzentrieren, welche konkreten Technologien benötigt werden, um etwa Zuarbeit- und Organisationstätigkeiten in der Justiz mit Hilfe der elektronischen Akte zu erleichtern.  In dieser Weise von einer engagierten Diskussion angeregt, haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den ersten Tag beim Begrüßungsabend im ehrwürdigen Schießhaus der Stadt Weimar ausklingen lassen. Hier gab sich Marco Buschmann, Bundesminister der Justiz, die Ehre.

Auch er sah sich genötigt, das Offensichtliche sowohl im Grußwort der Tagungsbroschüre als auch in seiner Rede im Schießhaus mehrfach klarzustellen: „In einem humanen Rechtsstaat müssen Gerichtsentscheidungen die Prärogative menschlicher Richter sein.“ Natürlich ist es nicht falsch, das wieder und wieder zu betonen. Man kann das Thema dann aber genauso schnell hinter sich lassen und sich den aktuellen Fragen stellen, die die Praxis für Richter- und Staatsanwaltskollegen im Moment bestimmen.  Dafür freilich war das Format am Abendempfang ungeeignet. Buschmann versuchte es dennoch mit einer recht langen und kleinteiligen Rede, deren Tiefpunkt erreicht wurde, als er auf seine sehr weitreichenden Pläne im Bereich der Online-Verhandlungen kam. Man traute seinen Ohren kaum in dieser ansonsten sehr gediegenen Atmosphäre, aber Buschmann wurde hier wiederholt ausgebuht und ausgepfiffen.

 

14 Workshops an Tag 2 – darunter auch einer des BRA

Der Vorstand des BRA nutzte den Vormittag des zweiten Tages, um zu einer Vorstandssitzung zusammenzukommen. Aktuelle Stellungnahmen wurden abgestimmt, die kommenden Aufgaben und Treffen koordiniert sowie – passend zur Tagung – die unterschiedlichen Stände der E-Akte in der arbeitsgerichtlichen Praxis in den unterschiedlichen Bundesländern ausgetauscht. Zeit für einen sozialen Austausch gab es dann gleich im Anschluss bei einem abwechslungsreichen, kurzweiligen und leckeren (Thüringer Bratwurst!) Stadtführung durch die Innenstadt Weimars. Engagierte Stadtführerin war Katja Bernhard, Bundesvorsitzende des BRA, die in Weimar geboren ist, und von versteckten, gemütlichen Gärten bis hin zu verwunschenen Kirchtürmen ein buntes Rundumpaket für die Vorstandskollegen schnürte.

Ansonsten bot der zweite Tag den Teilnehmern mit insgesamt 14 Workshops in vier unterschiedlichen Sälen die Möglichkeit, den fachlichen Austausch zu verschiedensten Themen auch weit jenseits der Digitalisierung zu vertiefen. 

Primus inter pares dieser Veranstaltungen war selbstredend der Workshop des BRA. Gewohnt routiniert führte Christoph Tillmanns, ehemaliger Vorsitzender des BRA und Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, als Moderator durch das Thema „Der (Zivil-)Richter und der Datenschutz“. Gemeinsam mit Dr. Stefan Brink, Landesbeauftragter für Datenschutz und

Informationsfreiheit des Landes Baden-Württemberg a.D. In einem entspannten und unprätentiösen Dialog führten die beiden gut nachvollziehbar durch ein Thema, das vielen Kollegen eher sperrig erscheinen mag und standen für alle interessierten Nachfragen bereit, von denen es einige gab.

Den goldenen Abschluss der Tagung bildete schließlich die Schlussveranstaltung am Freitagvormittag. Es sprach S.E. Professor Dres. H.c. Egils Levits. Der amtierende Staatspräsident Lettlands und ehemalige EuGH-Richter wurde mit Standing Ovations begrüßt und führte die gebannten Zuhörer im großen Saal in einer eindrucksvollen Tour d`Horizont durch die jüngste politische Entwicklung Europas. Dabei stellte er insbesondere die Wichtigkeit der Souveränität der Wertegemeinschaft Europas und die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit heraus. 

Am Ende der anschließenden offenen Fragerunde, kam dann noch die Sprache auf den Stand der Digitalisierung der lettischen Justiz. Der wortgewandte Levits erwiderte, Lettland sei bei der Digitalisierung der Justiz eines der führenden Länder Europas. Lettland hätte spät angefangen, dann aber richtig. Die leicht für alle Parteien zugängliche E-Akte sei dabei der Kern dieser Entwicklung. Levits betonte aber auch, Lettland stehe für eine „vernünftige Digitalisierung“ dort, wo es Vorteile bringe, und einen Verzicht hierauf, wo dies nicht der Fall sei. So sei sein Land sehr zurückhaltend, wenn es um den Einsatz von Software zur Entscheidungsfindung gehe. Kein Robo-Richter in Lettland also. 

 

Standing Ovations für den „Steuermann Europas“ 

Den gibt es übrigens auch nicht in Estland, anders als es Stephan Detjen in der Einführungsveranstaltung behauptet hat. Er ist einem urbanen Mythos aufgesessen. Eine einfache Google-Suche zeigt prominent, dass das estische Justizministerium dies bereits 2021 klargestellt hat.  Sie merken vielleicht schon als Leserin und Leser dieses Berichts, wie einen das Thema des RoboRichters in der Digitalisierungsdebatte der Justiz wie ein Boomerang verfolgt. Der entsprechende Einstieg in diesen Artikel sollte als eine Art Selbsttest dienen, ob auch Sie sich von dieser Scheindebatte von den eigentlich interessanten Fragen und den naheliegenden Chancen der Justizdigitalisierung „fortframen“ lassen? Bedenken Sie dabei auch, dass wir mit dem automatisierten Mahnverfahren im allgemeinen Zivilrecht bereits einen automatisierten Weg zu einem vollstreckbaren Titel in unser Justizsystem ganz selbstverständlich eingebaut haben.

Zum Abschluss noch ein letztes Mal zur Klarstellung: Schon die entsprechende KI-Verordnung der EU sieht ein Verbot von Robo-Richtern vor. Am Ende des 23. Richter und Staatsanwaltstags in Weimar möchte man diese Frage deshalb bis auf weiteres abhaken, in die Hände spucken, mit Dörr die Vision einer digitalisierten Justiz im Sinne der Bedürfnisse der in der Justiz tätigen Kolleginnen und Kollegen angehen und Teil der anstehenden Mondmission der E-Akte werden. 

John F. Kennedy – um mit einem anderen urbanen Mythos zu schließen – soll in den 1960er Jahren bei einer präsidialen Besichtigung in einer NASA-Halle zufällig eine einfache Reinigungskraft getroffen haben. „Was ist Ihre Aufgabe?“ hat er gefragt. „Ich bringe einen Mann auf den Mond“ war die Antwort. That`s the spirit we need.

Redaktion: Veronika Meininghaus, Dr. Martin Hejma, Katja Bernhard

Vorstand des BRA