Stellungnahme des Bundes der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit (BRA) zu dem Referentenentwurf des BMAS eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2919/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union und im Bereich des Zivilrechts.
Bei dem vorgelegten Gesetzesentwurf ist zu bedenken, dass aufgrund der Richtlinie (EU) 2919/1152 (kurz: RL) wenig Spielräume bei der Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber bestehen. Die nachfolgende Stellungnahme beschränkt sich daher auf die folgenden wenigen Punkte.
I. Inhalt der Nachweispflichten
Verfahren bei Kündigung
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 NachwG RefE muss der Arbeitgeber auch über das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, mindestens das Erfordernis der Schriftform der Kündigung und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage, informieren. Insoweit besteht grundsätzlich nur ein geringer Umsetzungsspielraum, weil Art. 4 Abs. 2 Buchst. j RL vorsieht, dass das bei der Kündigung vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren einschließlich der formellen Anforderungen und die Länge der Kündigungsfristen anzugeben sind. Es ist zu begrüßen, dass der Gesetzgeber hier konkretisiert, was unter „einzuhaltendes Verfahren“ zu verstehen ist. Insoweit könnte nämlich auch daran gedacht werden, dass der Arbeitgeber darüber informieren muss, dass vor einer Kündigung der Betriebsrat zu beteiligen ist nach § 102 BetrVG, vor einer Massenentlassung eine Anzeige nach § 17 KSchG zu erstatten ist usw. Bei dem Punkt „Kündigungsfristen“ kommt es naturgemäß darauf an, nach wie vielen Jahren Betriebszugehörigkeit die Kündigung ausgesprochen wird, was am Anfang des Arbeitsverhältnisses nicht feststeht. Hier sollte es dem Arbeitgeber gestattet sein, auf die Vorschrift des § 622 BGB (so wohl auch die Begr. zum RefE S. 25: „vereinbarte Berechnungsmodalitäten“) hinzuweisen. Ansonsten müsste die Norm praktisch in jedem Arbeitsvertrag -sofern keine tarifvertragliche Kündigungsfrist eingreift - abgedruckt werden, was als überflüssiger Formalismus erscheint.
Problematisch und regelungsbedürftig sind aber die Rechtsfolgen, falls der Arbeitgeber diesen Hinweis auf die Klagefrist unterlässt. Zunächst besteht auch für diesen Fall ein Bußgeldtatbestand (§ 4 NachwG RefE). Der stellt aber keine abschließende Sanktion dar. Vielmehr ist nach der Rechtsprechung des BAG zur geltenden Fassung des NachwG der Arbeitgeber bei einem unterbliebenen Hinweis auf (regelmäßig in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen enthaltenen) Ausschlussfristen schadensersatzpflichtig. Es wird dabei angenommen, dass sich der Arbeitnehmer bei korrektem Nachweis interessengerecht verhalten und seine Ansprüche unter Wahrung der Ausschlussfrist geltend gemacht hätte.
Dem Arbeitnehmer kann daher gegen den Arbeitgeber wegen einer nicht rechtzeitig erfolgten Aushändigung einer ordnungsgemäßen Niederschrift über die wesentlichen Vertragsbedingungen nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB ein Schadensersatzanspruch zustehen. Schaden i.S. von § 249 BGB ist das Erlöschen des Vergütungsanspruchs des Arbeitnehmers. Der Schadensersatzanspruch ist begründet, wenn die geltend gemachten Vergütungsansprüche bestanden und bei gesetzmäßigem Nachweis seitens des Arbeitgebers nicht erloschen wären. Bei der Prüfung des Anspruchs ist die Vermutung aufklärungsgemäßen Verhaltens des Arbeitnehmers einzubeziehen. Danach ist grundsätzlich davon auszugehen, dass jedermann bei ausreichender Information seine Eigeninteressen in vernünftiger Weise wahrt. Bei einem Verstoß gegen § 2 I Nr. 10 NachwG ist zu Gunsten des Arbeitnehmers zu vermuten, dass dieser die tarifliche Ausschlussfrist beachtet hätte, wenn er auf die Geltung des Tarifvertrags hingewiesen worden wäre. Diese Auslegung des Nachweisgesetzes ist geboten, um den Zweck der Richtlinie, den Arbeitnehmer vor Unkenntnis seiner Rechte zu schützen, wirksam zur Geltung zu bringen. Der Arbeitgeber kann diese Vermutung widerlegen. (Orientierungssätze BAG, Urteil vom 17. 4. 2002 - 5 AZR 89/01 NZA 2002, 1096, beck-online).
Übertragen auf den Tatbestand des unterbliebenen Hinweises auf die Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG bedeutet das, dass der Arbeitnehmer im Wege des Schadensersatzes weit nach Ablauf der Klagefrist nach § 4 KSchG (und ggf. sogar der Frist für die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG) geltend machen kann, dass er die Klagefrist (und die Frist nach § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG von 6 Monaten) nur deswegen versäumt hat, weil der Arbeitgeber ihn unzureichend unterrichtet hat und der Arbeitnehmer dann als Schadensersatz verlangen kann, so gestellt zu werden, als hätte er aufklärungsgerecht fristgerecht eine Kündigungsschutzklage erhoben. Das führt dazu, dass dann ggf. nach Jahren (innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfrist) in einem Schadensersatzprozess inzidenter geprüft werden muss, ob die Kündigungsschutzklage Erfolg gehabt hätte. Falls dem so ist, würde der Schadensersatz wegen des Grundsatzes der Naturalrestitution in einer Wiedereinstellung und Vergütungsnachzahlung bestehen. Diese Rechtsfolge ist mit dem Gedanken des § 4 KSchG, nach kurzer Zeit Rechtssicherheit zu schaffen, in jeder Hinsicht unvereinbar. Der Gesetzgeber sollte deshalb hier für Klarheit sorgen.
Als denkbare Lösungen bietet sich an, in § 7 KSchG zu regeln, dass die Kündigung auch dann als rechtswirksam gilt, wenn der Arbeitgeber nicht auf die Klagefrist nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 NachwG RefE hingewiesen hat. Alternativ kommt eine Streichung dieses Teils des § 2 Abs. 1 Nr. 14 („sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage“) oder eine Regelung im NachwG RefE selbst in Betracht. So kann § 2 Abs. 1 am Ende um den Satz ergänzt werden: Ein unterbliebener Hinweis auf die Klagefrist nach Nr. 14 berührt nicht die wirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 4, 5 und 7 KSchG.
Arbeitszeit
Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 NachwG RefE soll der Arbeitgeber über die Arbeitszeit, die vereinbarten Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit über das Schichtsystem, den Schichtrhythmus und Voraussetzungen für Schichtänderungen informieren. Diese Regelung erscheint zu kompliziert. Hier sollte es ausreichen, dass die Wochen- oder Monatsarbeitszeit angegeben wird, ferner ob in Schichtarbeit gearbeitet wird bzw. ob besondere Arbeitszeitformen wie Rufbereitschaft oder Bereitschaftsarbeitszeit anfallen. Bei der Regelung zur Ruhepausen erscheint unklar, ob der Arbeitgeber die Höchstruhezeit nach dem ArbZG (dies liefe auch darauf hinaus, dass dieses Gesetz wiederzugeben wäre) angeben muss oder die vertraglich vereinbarten Pausen.
Ausschlussfristen
Die Behandlung von Ausschlussfristen spielt im Arbeitsgerichtsprozess eine erhebliche Rolle. Der RegE macht keine Ausführungen zu der Frage der Ausschlussfristen. Ausschlussfristen fallen wohl unter die wesentlichen Arbeitsbedingungen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG, so dass über sie grundsätzlich zu informieren sein dürfte. Es ist zwischen Rechtsprechung und Literatur seit Langem umstritten, ob es ausreicht, dass im Arbeitsvertrag allgemein auf einen Tarifvertrag verwiesen wird, ohne die tarifliche Ausschlussfrist zu bezeichnen (so BAG 30. Oktober 2019 – 6 AZR 465/18 – Rn. 50, NZA 2020, 379). Der Gesetzgeber könnte die Reform des NachwG zum Anlass nehmen, diese umstrittene Frage mit zu klären.
II. Erfüllung der Nachweispflichten
Art. 3 RL sieht vor, dass die Informationen grundsätzlich schriftlich vom Arbeitgeber zu erbringen sind. Sie können aber auch – unter bestimmten Bedingungen – in elektronischer Form zur Verfügung gestellt werden. Diese Möglichkeit wird vom Gesetzesentwurf nicht aufgegriffen (s. § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG RefE). Gerade in modernen Unternehmen gibt es keine Personalakte aus Papier mehr. Die Arbeitnehmer sind heute nahezu vollständig mit Möglichkeiten zur E-Mail- und Internetnutzung vertraut. Es sollte daher geprüft werden, ob und unter welchen Voraussetzungen – zu denen auch die technische Beherrschung dieses Verfahrens durch die Arbeitnehmer gehört – ein Nachweis in elektronischer Form zugelassen wird.
III. Sanktionensystem
Der Entwurf sieht in einem neuen § 4 NachwG RefE vor, dass ein Arbeitgeber, der seinen Nachweispflichten nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 NachwG nicht nachkommt, eine Ordnungswidrigkeit begeht. Insoweit ist eine Geldbuße bis zu 1.000 Euro möglich. Dies stellt eine wesentliche Neuerung zu dem bisherigen Regelungssystem des NachwG dar. Bislang hat man als Sanktion allenfalls Beweiserleichterungen oder einen Schadensersatz bei nicht mitgeteilten Ausschlussfristen diskutiert (zu Letzterem BAG 30. Oktober 2019 – 6 AZR 465/18 – NZA 2020, 379). Nach Art. 19 RL muss der Gesetzgeber indes Sanktionen vorsehen, die wirksam, angemessen und abschreckend sind. Allerdings sieht der Unionsgesetzgeber in Art. 15 Abs. 1 Buchst. a RL ebenfalls die Möglichkeit vor, dass die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass der Arbeitnehmer in den Genuss von ihm günstigen Vermutungen kommt, wenn der Arbeitgeber seinen Nachweispflichten nicht entsprochen hat. Jedenfalls Beweiserleichterungen im Falle der Verletzung der Nachweispflicht (die aber so oder so zunächst vom Arbeitnehmer zu beweisen ist), sieht die Instanzrechtsprechung schon heute vor (dazu ErfK/Preis § 2 NachwG Rn 48), so dass auch diesem Gesichtspunkt schon Rechnung getragen wird. Ansonsten steht dem Arbeitnehmer zur Durchsetzung seines Anspruchs auf Erteilung des Nachweises der schnelle und kostengünstige (§ 12a ArbGG) Weg zu den Arbeitsgerichten offen.
IV. Abdingbarkeit durch Kollektivverträge
In Art. 14 RL ist vom Unionsgesetzgeber vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten den Sozialpartnern erlauben können, dass durch Kollektivvertrag von den Art. 8 bis 13 RL abgewichen werden darf. Dies betrifft insbesondere Arbeitsbedingungen bei Abrufarbeitsverhältnissen oder dem Übergang in sichere Arbeitsbedingungen. Hier sollte zumindest den Tarifvertragsparteien gestattet sein, andere Regelungen zu treffen.
V. Änderungen des TzBfG
In § 15 Abs. 3 TzBfG RefE wird die Regelung aus Art. 8 Abs. 2 RL übernommen: Wird für ein befristetes Arbeitsverhältnis eine Probezeit vereinbart, so muss diese im Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehen. Hierbei handelt es sich um eine gesetzliche Regelung, die äußerst unbestimmt ist. Es wäre wünschenswert, wenn der Gesetzgeber hierzu einen konkreteren Rechtsrahmen zur Verfügung stellen würde. Sinnvoll wäre die Regelung eines Verhältnisses von Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses zur Dauer der Probezeit, sofern es sich nicht um eine Befristung zur Erprobung (§ 14 Abs. 1 Nr. 5 TzBfG) handelt. Die Vorschrift passt im Übrigen besser als Ergänzung von § 622 Abs. 3 BGB anstelle eines zusätzlichen Absatzes in § 15 TzBfG.
VI. Änderung des AÜG
Der Referentenentwurf sieht in § 13a Abs. 2 AÜG RefE vor, eine Pflicht zur einer begründeten Antwort des Entleihers binnen Monatsfrist einzuführen, wenn der Leiharbeitnehmer ihm den Wunsch nach Abschluss eines Arbeitsvertrags angetragen hat. Damit soll ersichtlich das soziale Ziel gefördert werden, mehr Leiharbeitnehmer in ein „Regelarbeitsverhältnis“ zu überführen. Dieses Ziel ist als solches zu begrüßen. Soweit sich der RefE auf Art. 12 RL stützt, erscheint dies allerdings verfehlt. Art. 12 RL regelt erkennbar den Übergang von einem Probezeitarbeitsverhältnis in ein Arbeitsverhältnis ohne Probezeit. Der Erwägungsgrund 36 der RL ist gerade nicht gesetzlicher Inhalt der umzusetzenden Regeln geworden.
Freiburg im Februar 2022
Für den Bundesvorstand des BRA: Christoph Tillmanns