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Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 6. März 2024 zur weiteren Digitalisierung der Justiz
 

Der BRA begrüßt den Gesetzesentwurf, schlägt aber eine flankierende Regelung vor, um das Verfahren bei Schriftsatzkündigungen transparenter zu gestalten.

1. Zum ArbGG enthält der Entwurf in Art. 22 Nr. 1 folgende Regelung:

§ 46c Abs. 3 ArbGG soll um den folgenden Satz ergänzt werden:
„Soll ein schriftlich einzureichender Antrag oder eine schriftlich einzureichende Erklärung einer Partei oder eines Dritten als elektronisches Dokument eingereicht werden, so kann der unterschriebene Antrag oder die unterschriebene Erklärung in ein elektronisches Dokument übertragen und durch den Bevollmächtigten, den Vertreter oder den Beistand nach Satz 1 übermittelt werden.“

Diese Regelung ist zu begrüßen. Es wird erleichtert, dass Erklärungen, die von der Partei selbst stammen müssen, durch die Rechtsanwältin bzw. Rechtsanwalt wirksam bei Gericht eingereicht werden können. Dies betrifft etwa eidesstattliche Versicherungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, aber auch Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 117 Abs. 2 ZPO in PKH-Sachen.

2. Zum ArbGG enthält der Entwurf in Art. 22 Nr. 3 folgende Regelung:

§ 46h Formfiktion
„Ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die der schriftlichen oder der elektronischen Form bedarf, in einem vorbereitenden Schriftsatz enthalten, der als elektronisches Dokument nach § 46c bei Gericht eingereicht und dem Empfänger zugestellt oder mitgeteilt wurde, so gilt die Willenserklärung als in schriftlicher oder elektronischer Form zugegangen. Dies gilt auch dann, wenn die Ersetzung der schriftlichen Form durch die elektronische Form ausgeschlossen ist.“

Der Satz 1 der Regelung zielt darauf ab, dass Willenserklärungen, die der Schriftform bedürfen, auch digital übersandt werden können, wenn die Voraussetzungen des § 46c ArbGG eingehalten sind. § 126 BGB regelt die Anforderungen an die Schriftform. Hier bedarf es im Grundsatz einer eigenhändigen Unterschrift. Demgegenüber sind die Anforderungen an das wirksame Einreichen von Schriftsätzen im Prozess in § 46c ArbGG anders regelt. Neben der qualifizierten elektronischen Signatur, die es auch nach § 126a BGB außerhalb von Prozessen gibt, sieht § 46c Abs. 3 ArbGG insbesondere vor, dass das elektronische Dokument auf einem sicheren Übermittlungsweg (beA, eBO etc.) übersandt werden kann. Da aber auch im letzten Fall eine sichere Indentifikation des Absenders gewährleistet ist, spricht nichts dagegen, diese Fälle der „normalen“ Schriftform gleichzusetzen.

Durch § 46h Satz 2 ArbGG soll offensichtlich die Regelung in § 623 zweiter Halbsatz BGB (Ausschluss der elektronischen Form bei Kündigungen) für Erklärungen im digitalen Prozess abbedungen werden. Nachdem seit 1. Januar 2022 gemäß § 46g Satz 1 ArbGG professionelle Rechtseinreicher, also insbesondere Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, wirksam nur noch elektronisch bei Gericht Schriftsätze einreichen dürfen, war seit diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, Schriftsatzkündigungen auszusprechen, ausgeschlossen. Die Möglichkeit, dass in einem umfangreichen Schriftsatz an versteckter Stelle (z.B. auf Seite 45 unten) eine (weitere) Kündigung ausgesprochen wird, hat das BAG im Grundsatz als Missbrauch angesehen (BAG 27. Januar 1994 – 2 AZR 484/93 – NZA 1994, 812; Diller NZA 1994, 830). Als Ausgleich ist es anerkannt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu Beginn des Prozesses neben der punktuellen Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG eine allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO erheben können (BAG 21. Januar 1988 – 2 AZR 581/86 – NZA 1988, 651), die bewirkt, dass eine Folgekündigung jedenfalls nicht innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 KSchG angegriffen werden muss. Allerdings wird nicht in jedem Fall eine allgemeine Feststellungsklage neben dem punktuellen Kündigungsschutzantrag erhoben.

Man könnte argumentieren, dass mit der geplanten Neuregelung „nur“ derjenige Zustand wiederhergestellt würde, der vor dem 1. Januar 2022 bestand. Auch vor diesem Zeitpunkt waren in der vordigitalen „Papierwelt“ Schriftsatzkündigungen an versteckter Stelle möglich. Nur wenn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer durch eine Rechtsanwältin bzw. einen Rechtsanwalt oder eine Gewerkschaftsvertreterin bzw. einen Gewerkschaftsvertreter im Prozess vertreten ist, können derzeit nach § 173 ZPO an die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer digitale Schriftsatzkündigungen adressiert werden; damit wird der Gefahr durch Schriftsatzkündigungen zumindest im gewissen Maße begegnet.

Allerdings erscheint es sachgerecht, dass der Gesetzgeber eine Regelung erlässt, die der Gefahr von (versteckten) Schriftsatzkündigungen entgegenwirkt. Es besteht die Gefahr, dass Schriftsatzkündigungen bei Wegfall des Verbots der elektronischen Form zunehmen werden. Der Umfang von Schriftsätzen steigt potentiell im digitalen Prozess, „Papier“ ist insoweit kein begrenzender Faktor mehr.

Der Arbeitskreis Arbeitsrecht der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen hat eine Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur weiteren Digitalisierung der Justiz vom 6. März 2024 am 25. März 2024 vorgelegt. Darin ist vorgeschlagen worden, § 46h ArbGG um einen Satz 3 wie folgt zu ergänzen:

„Wird die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in elektronischer Form erklärt, ist die schriftliche Form nur gewahrt, wenn der Erklärende zu Beginn des Schriftsatzes gut erkennbar darauf hinweist, dass der Schriftsatz eine Kündigung enthält.“

Diesem Vorschlag schließt sich der BRA an. Auf diesem Weg könnte einem Überrumpelungseffekt und einem potentiellen Missbrauch, der mit versteckten Schriftsatzkündigungen einhergeht, wirksam begegnet werden. Im Interesse der fortschreitenden Digitalisierung würde zwar einerseits ermöglicht, dass auch Kündigungen in einem Arbeitsgerichtsprozess ausgesprochen werden könnten. Andererseits würde die Gefahr, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Kündigungen übersehen, erheblich verringert. Eine solche Regelung wäre im Interesse der Transparenz zu begrüßen.

 

Katja Bernhard               Dr. Michael Horcher