Stellungnahme zu dem Referentenentwurf des BMAS vom 14. April 2016 zur Regelung eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze
I. Änderung bzw. Einführung des § 611a BGB
Der nunmehr vorgelegte Gesetzesentwurf beschränkt sich auf die Wiedergabe der Kernaussagen der Rechtsprechung zum Arbeitnehmerbegriff. Dies hatte der BRA bereits in seiner früheren Stellungnahme angeregt. Insbesondere ist zu begrüßen, dass der Gesetzgeber es nicht mehr für sinnvoll erachtet, die - originär arbeitsrechtliche - Feststellung, wer Arbeitnehmer ist, von einer Entscheidung der Rentenversicherung abhängig zu machen.
Folgende sprachliche Änderungen sollten jedoch noch vorgenommen werden – ohne dass damit eine inhaltliche Änderung verbunden ist:
Arbeitnehmer ist, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann; der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen.
Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um
ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.
Durch die Streichung des Wortes „Dauer“ wird klargestellt, dass der Arbeitgeber nicht durch sein Weisungsrecht in die vertraglich vereinbarte Dauer der Arbeitszeit eingreifen kann.
Will man alternativ stattdessen – um in der Systematik des BGB zu bleiben (wie z. B. § 631 BGB) - den Vertragstypus Arbeitsvertrag regeln, bietet sich alternativ folgende Formulierung an:
Durch den Arbeitsvertrag verpflichtet sich der Arbeitnehmer zu fremdbestimmter persönlicher Leistungserbringung nach Weisung des Arbeitgebers und der Arbeitgeber zur Leistung der vereinbarten Vergütung. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Arbeitsleistung betreffen. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung eines Arbeitsvertrages ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Ergibt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um einen Arbeitsvertrag handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.
In diesem Zusammenhang sollte auch erwogen werden, die §§ 105 bis 110 GewO in das BGB zu überführen, wo sie systematisch zu verorten sind. § 106 GewO und § 611a BGB überschneiden sich nunmehr, so dass sinnvoll ist, § 106 GewO vollständig in § 611a BGB zu integrieren, z. B. als dessen Abs. 2 und dort die Einzelheiten des Weisungsrechtes – wie jetzt in § 106 GewO ohne inhaltliche Änderung zu regeln.. Das dient der Gesetzesklarheit und damit der Bürgerfreundlichkeit.
Angeregt wird noch, zum Zweck einer Harmonisierung des Verfahrensrechts einheitlich für Verfahren, in denen es um die Klärung des Status eines (untechnisch) „Beschäftigten“ geht, an geeigneter Stelle im ArbGG einheitlich den
Amtsermittlungsgrundsatz festzuschreiben. Während das im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren, im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung nach § 2 Abs. 1 ArbGG und auch bei der sozialversicherungsrechtlichen Statusbeurteilung der Fall ist, gilt im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren davon abweichend der Beibringungsgrundsatz, beispielsweise bei einer Statusklage auf Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft oder einer Klage auf Entgeltfortzahlung, bei der die Arbeitnehmereigenschaft als Vorfrage zur prüfen ist.
II. Änderungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG)
1. Verbot der Kettenbefristung (§ 1 Abs. 1 AÜG-E)
Bislang war es in der Wissenschaft umstritten, ob ein sog. „Kettenverleih“ rechtlich zulässig ist. In der Standardkommentierung zum AÜG „Schüren/Hamann“ etwa wurde vertreten, dass Kettenverhältnisse auch bei der Arbeitnehmerüberlassung zulässig seien. Wie in der Gesetzesbegründung zutreffend ausgeführt wird, entsprach es hingegen bisher der Meinung der Bundesagentur für Arbeit, dass ein Kettenverleih nicht zulässig sei. Da dies wohl auch der bislang h.M. entspricht, ist die gesetzgeberische Klarstellung zu begrüßen.
2. Gebot der Bezeichnung als Arbeitnehmerüberlassung (§ 1 Abs. 1 AÜG-E)
Der Gesetzesentwurf sieht ferner vor, dass in dem Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher die Überlassung als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen ist. Dies dient der Abgrenzung zu Konstellationen von Dienst- oder Werkverträgen. Auch diese Regelung ist zu begrüßen. Ein schutzwürdiges Interesse desjenigen Arbeitgebers, der „offiziell“ Werkverträge abschließt und sich später auf eine Arbeitnehmerüberlassung berufen will, ist nicht zu erkennen. Die Regelung dient damit der Rechtsklarheit und der Vermeidung von Rechtsmissbrauch.
3. Zeitliche Höchstgrenze von 18 Monaten (§ 1 Abs. 1 AÜG-E)
Wie der BRA bereits in seiner ersten Stellungnahme ausgeführt hat, dient es der Rechtsklarheit, wenn der Gesetzgeber statt des vagen „vorübergehend“ eine zeitliche Grenze für die Arbeitnehmerüberlassung definiert. Auf die bisherigen Anmerkungen zu diesem Punkt wird an dieser Stelle verwiesen. Der Entwurf stellt hinreichend deutlich klar, dass es dabei um eine rein personenbezogene Betrachtung geht. Ob damit alle Fälle von Rechtsmissbrauch erfasst werden, erscheint aber nicht zwingend. Es wird den Gerichten aber durch die klare Fassung verwehrt sein, bei Austausch des konkreten Leiharbeitnehmers auf einem Stammarbeitsplatz durch einen anderen nach Ablauf von 18 Monaten einen Rechtsmissbrauch anzunehmen. Es erscheint auch dogmatisch folgerichtig, dass bei Überschreiten der Höchstdauer von 18 Monaten nach § 10 AÜG mit dem Entleiher - wie auch sonst bei der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung - ein neues Arbeitsverhältnis fingiert wird. Ob dies stets dem Willen des betroffenen Arbeitnehmers entspricht wird durch die Einführung eines Widerspruchsrechts abgefedert.
Eine zeitliche Ausweitung dieser Grenze in die Hände der Tarifvertragsparteien zu legen, gewährleistet verantwortungsvolle brachenbezogene pragmatische Regelungen.
4. Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers (§ 9 AÜG-E)
Es ist zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber dem von einer rechtswidrigen Arbeitnehmerüberlassung betroffenen Arbeitnehmer ein Widerspruchsrecht zubilligt. Dies erscheint in Anlehnung an § 613a Abs. 6 BGB und Art. 12 GG geboten. Problematisch ist, wann die einmonatige Widerspruchsfrist zu laufen beginnen soll. Dies erscheint bei der Überschreitung der 18monatigen Höchstüberlassungsdauer leicht nachvollziehbar. Schwierig erscheinen die Fälle, dass der Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Entleiher stattfinden soll, weil die Bezeichnung als Arbeitnehmerüberlassung in dem Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher fehlt (§ 9 Nr. 1a AÜG-E) oder dass ein Fall eines unzulässigen Kettenverleihs vorliegt (§ 10a AÜG-E). Hier sind Fälle denkbar, in denen der Arbeitnehmer keine für seine „Widerspruchsentscheidung“ ausreichende Kenntnis besitzt. Eine „ausufernde“ Informationspflicht entsprechend § 613a Abs. 5 BGB ist hier zwar nicht angezeigt. Es könnte aber die Klarstellung veranlasst sein, dass in diesen Fällen die Frist zur Ausübung des einmonatigen Widerspruchsrechts nicht vor dem Zeitpunkt der Kenntnis des Arbeitnehmers von denjenigen Umständen, die die Unwirksamkeit der Arbeitnehmerüberlassung begründen, zu laufen beginnt.
5. Streikbrecherverbot (§ 11 Abs. 5 AÜG)
Im Hinblick auf entsprechende tarifvertragliche Vereinbarungen ist hier eine weitere Stellungnahme nicht erforderlich.
6. Berücksichtigung bei Schwellenwerten im BetrVG (§ 14 Abs. 2 AÜG-E)
Die Regelung dient der Rechtsklarheit, weil sie die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gesetzlich darstellt. Schon bisher ist es nach der Rechtsprechung anerkannt, dass in den Fällen der §§ 9, 38 und 111 BetrVG Leiharbeitnehmer mitzuzählen sind.
III. Änderung in § 80 Abs. 2, 92 Abs. 1 BetrVG
Es bestehen keine Bedenken. Die Anpassung in § 92 Abs. 1 BetrVG ist eine konsequente Klarstellung im Hinblick auf die Erweiterung der allgemeinen Aufgaben des Betriebsrats.
IV. Sonstiges
Nicht geregelt wurde die Verzahnung der Änderungen im AÜG mit dem Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG. Ist eine Überlassung von mehr als 18 Monaten geplant, so wird man dem Betriebsrat des Entleihbetriebs nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG ein Zustimmungsverweigerungsrecht zubilligen müssen, da die personelle Maßnahme gegen ein Gesetz verstößt. Etwas zweifelhafter erscheint dies in den Fällen, in denen die Bezeichnung als Arbeitnehmerüberlassung im Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher fehlt oder wenn in Wirklichkeit ein Kettenverleih vorliegt. Es könnte sich insoweit eine Klarstellung empfehlen, dass auch in diesen Fällen ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats besteht.
Klarstellen sollte der Gesetzgeber auch, ob in § 112a Abs. 1 BetrVG Leiharbeitnehmer mitzählen und diese wichtige Frage nicht den Gerichten überlassen.