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Stellungnahme Nr. 1/19 des BRA zum Gesetzentwurf ...

Anpassung arbeitsrechtlicher Vorschriften an die geltende Rechtslage

Bereits in der gemeinsamen Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins (Arbeitsrechtaus-schuss) sowie des Bundes der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit im August 2012 ist auf die Notwendigkeit der Anpassung arbeitsrechtlicher Vorschriften an die geltende Rechtslage hingewiesen worden. Hieran anknüpfend werden die Widersprüche im Folgenden aufgezeigt:

1. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB und § 63 Abs. 2 Satz 2 SeemG: Betriebszugehörigkeit vor dem 25. Lebensjahr

§ 622 Abs. 2 Satz 2 BGB lautet:

„Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollen-dung des 25. Lebensjahrs des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt.“

In der Entscheidung des EuGH vom 19. Januar 2010 (Rs. C-555/07 [Kücükdeveci]), hat dieser festgestellt, dass einer Nichtberücksichtigung von Beschäftigungszeiten vor dem 25. Lebensjahr bei der Berechnung von Kündigungsfristen, wie sie § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB vorsieht, insbesondere das Diskriminierungsverbot wegen des Alters entgegen steht. Die nationale Gesetzesvorschrift ist daher aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht mehr anwendbar. Auch soweit durch Ta-rifverträge auf diese Vorschrift Bezug genommen wird, kann sie keine Wirkung für die Tarifgebundenen entfalten (BAG 29. September 2011 - 2 AZR 177/10 ). § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ist daher ersatzlos aufzuheben.

Dasselbe gilt für § 63 Abs. 2 Satz 2 SeemG. Die Vorschrift lautet:

„Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Besatzungsmitglieds liegen, nicht berücksichtigt.“

Auch diese Vorschrift ist aus den bereits dargestellten Gründen nicht mehr anzuwenden und deshalb aufzuheben.

2. § 7 Abs. 3 Satz 2 und 3 BUrlG: Urlaubsübertragung im Falle von Krankheit

Seit der Entscheidung des EuGH vom 20. Januar 2009 - Rs. C-555/07 - („Schultz-Hoff“) steht fest, dass die in § 7 Abs. 3 Satz 2 iVm. Satz 3 BUrlG den europäischen Vorgaben aus Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 widerspricht. Später hat der EuGH allerdings erkannt, dass die Begrenzung der Übertragung von Urlaubsansprüchen auch im Falle lang andau-ernder Erkrankung von Arbeitnehmern mit dieser Richtlinie in Einklang zu bringen ist. Es muss allerdings gewährleistet sein, dass der über mehrere Bezugszeiträume arbeitsunfähige Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, den Urlaub zu nehmen. Ein Übertragungs-zeitraum muss die Dauer des Bezugszeitraums, für den er gewährt wird, deutlich überschrei-ten, zudem muss der Übertragungszeitraum aber den Arbeitgeber vor der Gefahr der An-sammlung von zu langen Abwesenheitszeiträumen und den Schwierigkeiten schützen, die sich daraus für die Arbeitsorganisation ergeben können (EuGH 22. November 2011 - Rs. C-214/10 - Rn. 38 f.). Ein Zeitraum von 15 Monaten nach Ablauf des Bezugszeitraums hat der EuGH dabei als ausreichend angesehen. Dem ist das Bundesarbeitsgericht gefolgt und hat für die Fälle, in denen Arbeitnehmer aus „gesundheitlichen Gründen“ an der Arbeitsleistung gehindert sind, den Verfall von Urlaubsansprüchen mit Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres festgestellt (BAG 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 32).

§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ist an diese Rechtsprechung anzugleichen. Es bietet sich an, Satz 3 neu zu formulieren (nachfolgend a), wobei die Änderung auf Grund Art. 1 Nr. 3 a) aa) der „Verordnung der Landesregierung Baden-Württemberg zur Änderung der Arbeitszeit- und Urlaubsverordnung vom 16. September 2014 (GBl. 2014, 441) als Grundlage dienen kann. Möglich wäre es auch, § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG einen neuen Satz 4 anzuhängen (nachfol-gend b). Der bisherige Satz 4 wäre dann Satz 5:

a) „Er verfällt, wenn er nicht bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres oder, wenn er bis dahin aus gesundheitlichen Gründen nicht genommen werden konnte, nicht bis zum 31. März des übernächsten Jahres genommen worden ist.“

b) „Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden (= Satz 3). Ist der Urlaub aus gesundheitlichen Gründen zu übertragen, verfällt er, wenn er nicht bis zum 31. März des übernächsten Jahres genommen worden ist (= Satz 4 neu)“.

Statt des Begriffs „arbeitsunfähig“ sollte derjenige der „gesundheitlichen“ Gründe gewählt werden. Damit sind rechtssicher auch die Zeiten der Erwerbsunfähigkeit erfasst (vgl. hierzu BAG 7. August 2011 - 9 AZR 353/10 - Rn. 14 ff.). Der Gesetzgeber sollte sich dabei im Kla-ren sein, dass der gesetzlichen Formulierung besondere Bedeutung für die Rechtsprechung zukommt. Eine richtlinienkonforme Auslegung wird eingeengt, wenn der Gesetzgeber eine Norm ändert, um deren Richtlinienwidrigkeit aufzuheben (vgl. hierzu Michael/Payandeh NJW 2015, 2392 ff). Der Gesetzgeber muss sich daher Gedanken machen, für welche Tatbestän-de fehlender Arbeitsleistung die Übertragung bis zum 31. März des übernächsten Kalender-jahres erfolgen soll. Für das PflegezeitG hat er keine Regelung getroffen. Unklar ist, ob es sich dabei um ein Versehen handelt oder ob jede „willentliche Entscheidung“ des Arbeitneh-mers, die kausal für die Nichtleistung im Arbeitsverhältnis ist, dazu führen soll, dass eine verlängerte Übertragung ausscheidet. Die Frage stellt sich umso dringlicher als das BAG entschieden hat, dass z.B. unbezahlter Sonderurlaub nicht zu einer Kürzung des gesetzli-chen Urlaubsanspruchs führt (BAG 6. Mai 2014 - 9 AZR 678/12 - ) und insofern regelmäßig eine „willentliche Entscheidung“ des Arbeitnehmers vorliegt. Der EuGH hat mehrfach ausge-führt, dass der Arbeitnehmer „die Möglichkeit gehabt haben muss“, den Urlaub zu nehmen (vgl. nur EuGH 20. Januar 2009 - Rs. C-350/06 - Rn. 43 [„Schultz-Hoff“]; 13. Juni 2013 - Rs. C-412/12 - Rn. 33 [„Brandes“]). Das BAG hat daraus geschlossen, dass der EuGH die Auf-rechterhaltung des Urlaubsanspruchs in den Ausnahmefällen, in denen „vom Willen des Ar-beitnehmers unabhängige Gründe“ der Urlaubsgewährung entgegenstehen, an enge Vo-raussetzungen bindet (BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 49; vgl. auch EuGH 20. Januar 2009 - Rs. C-350/06 - Rn. 38, [„Schultz-Hoff“]). Wie „frei“ die Entscheidung getroffen sein muss, wird daraus mit letzter Konsequenz nicht ersichtlich: Ist jemand, der nach dem PflegezeitG freigestellt wird, frei in seiner Entscheidung iSd. Rechtsprechung des BAG/EuGH oder ist er ähnlich schutzbedürftig einem Arbeitnehmer, der arbeitsunfähig ist?

3. §§ 17, 18 KSchG: Begriff der Entlassung

Im Anschluss an die Entscheidung Junk (EuGH 27. Januar 2005 - C-188/03 - Rn. 39) hat das BAG § 17 KSchG richtlinienkonform dahin ausgelegt, dass auch in § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG (ua. BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 346/12 - Rn. 31; 25. April 2013 - 6 AZR 49/12 - Rn. 153; 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - Rn. 18, BAGE 117, 281), § 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG (BAG 19. März 2015 - 8 AZR 119/14 - Rn. 47) sowie § 18 Abs. 1 und 2 KSchG (BAG 22. April 2010 - 6 AZR 948/08 - Rn. 18 die Erklärung der Kündigung zu verstehen ist. Dage-gen ist nach wie vor offen, wie der Begriff „Entlassungen“ in § 18 Abs. 4 KSchG zu verstehen ist: Im Urteil vom 23. Februar 2010 - 2 AZR 720/08 - Rn. 33 hat das BAG ausgeführt, die Wendung „Durchführung der Entlassung“ weise „eher“ darauf hin, dass die Kündigungserklä-rung gemeint sei. Im kurze Zeit später folgenden Urteil vom 22. April 2010 - 6 AZR 948/08 - Rn. 18 hat es die Frage bewusst unbeantwortet gelassen.

Zum einen muss die Begrifflichkeit „Entlassung“ in „Kündigung“ angepasst werden, wo dies eindeutig entschieden ist. Zum anderen muss sich der Gesetzgeber seiner Verantwortung stellen selbst zu entscheiden, ob eine Norm wie § 18 Abs. 4 KSchG angesichts der europa-rechtlichen Vorgaben noch Sinn ergibt oder ob auch insofern die Begrifflichkeiten oder gar der Regelungsgehalt angepasst werden.

4. Geschäftsführer und Arbeitnehmerbegriff

Die Frage, ob Geschäftsführer Arbeitnehmer sind, hat durch die Rechtsprechung des EuGH neuen Auftrieb erfahren.

So hat der EuGH zur Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 „über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschut-zes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz“ entschieden, dass die Arbeitnehmereigenschaft eines Mitglieds der Unter-nehmensleitung einer Kapitalgesellschaft, das dieser gegenüber Leistungen erbringt und in sie eingegliedert ist, zu bejahen ist, wenn es seine Tätigkeit für eine bestimmte Zeit nach der Weisung oder unter der Aufsicht eines anderen Organs dieser Gesellschaft ausübt und als Gegenleistung für die Tätigkeit ein Entgelt erhält (EuGH 11. November 2010 - Rs. C-232/09 - Rn. 56 [„Danosa“]. Weiter hat der EuGH entschieden, dass Art. 10 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung, nach der die Abberufung eines Mitglieds der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft ohne Einschränkung zulässig ist, entge-gensteht, wenn eine „schwangere Arbeitnehmerin“ im Sinne dieser Richtlinie betroffen ist und die ihr gegenüber ergangene Abberufungsentscheidung im Wesentlichen auf ihrer Schwangerschaft beruht (EuGH 11. November 2010 - Rs. C-232/09 - Rn. 74 [„Danosa“]).
Unter Verweis auf die bereits in der Entscheidung „Danosa“ entwickelten Kriterien hat der EuGH aktuell am 9. Juli 2015 - Rs. C-229/14 - („Balkaya“) entschieden, der im Ausgangsver-fahren in Rede stehende Geschäftsführer einer GmbH sei als Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie 98/59/EG bei der Berechnung der Schwellenwerte nach § 17 Abs. 1 KSchG - und damit entgegen der ausdrücklichen Regelung in § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG zu - berücksichtigen. Denn er könne jederzeit gegen seinen Willen abberufen werden und unterliege zudem der Weisung und Aufsicht der Gesellschafterversammlung.

Unabhängig davon, wie die Rechtsprechung des BAG und des BGH mit der Arbeitnehmereigenschaft eines (Fremd-)Geschäftsführers einer GmbH umgeht (vgl. dazu nur die Kurzzusammenfassung von Grobys NJW-Spezial 2015, 498 ff.), stellt sich vor dem Hintergrund europarechtlicher Vorgaben für den nationalen Gesetzgeber die Aufgabe, die Definition des „Arbeitnehmerbegriffs“ zu überdenken und neu zu regeln. Das gilt jedenfalls dann, wenn das nationale Gesetz - auch - der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben dient. Dementsprechend dürfte es z.B. unproblematisch sein, dass in § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG u.a. Geschäfts-führer nicht als Arbeitnehmer iSd. ArbGG gelten. Dagegen sind u.a. das MuSchG, das AGG, das ArbZG und das BUrlG auf ihre Vereinbarkeit mit dem unionsrechtlichen Arbeitnehmer-begriff zu überprüfen (vgl. hierzu näher Lunk NZA 2015, 917, 920).

5. § 14 Abs. 2 Satz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)

§ 14 Abs. 2 TzBfG lautet:
"Die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer von zwei Jahren ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Ar-beitsvertrages zulässig. Eine Befristung nach Satz 1 ist nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. …"

§ 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG kann von ihrem Wortlaut her als ein zeitlich unbeschränktes "abso-lutes" oder "lebenslanges" sogenanntes Anschlussverbot verstanden werden. Auf den zeitli-chen Abstand zwischen dem früheren Arbeitsverhältnis und dem nunmehr ohne Sachgrund befristeten Arbeitsverhältnis kommt es damit grundsätzlich nicht an. Auch lange Zeiträume führten dazu, dass der Arbeitnehmer nicht mehr nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG eingestellt werden könnte. Für die Praxis besteht insofern insbesondere das Problem, vor der Einstel-lung eines Arbeitnehmers rechtssicher zu erfahren, ob dieser bereits zu irgendeinem Zeit-punkt vor der beabsichtigten Einstellung schon einmal beschäftigt gewesen ist.

Der 7. Senat des BAG hat in seinem Urteil vom 6. April 2011 - 7 AZR 716/09 - allerdings ent-schieden, dass der Möglichkeit, ein Arbeitsverhältnis nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG ohne Sachgrund bis zu zwei Jahre zu befristen, ein früheres Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers mit demselben Arbeitgeber nicht nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG entgegen steht, wenn das Ende des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses mehr als drei Jahre zurückliegt (bestätigt durch Urteil vom 21. September 2011 - 7 AZR 375/10). Zur Begründung hat da BAG ausge-führt, der Zweck der Regelung in § 14 Abs. 2 S 2 TzBfG bestehe darin, zu verhindern, dass die in § 14 Abs. 2 S 1 TzBfG vorgesehene Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung zu "Befristungsketten" missbraucht wird. Zur Verwirklichung dieses Zwecks bedürfe es keines lebenslangen Anschlussverbots. Ein solches wäre vielmehr nach dem Normzweck über-schießend. Auch eine die Wertordnung des Grundgesetzes berücksichtigende "verfassungsorientierte Auslegung" gebiete ein zeitlich eingeschränktes Verständnis des Verbots der Vor-beschäftigung in § 14 Abs. 2 S 2 TzBfG. Ein uneingeschränktes Anschlussverbot berge strukturell die Gefahr, als arbeitsrechtliches Einstellungshindernis die durch Art 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers unverhältnismäßig zu begrenzen.

Die Entscheidung ist von Anfang an stark umstritten gewesen. Insbesondere wird kritisiert, sie überschreite die dem Richterrecht gesetzten Grenzen. Der Wille des Gesetzgebers sei eindeutig. Die Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichts ist dieser Entscheidung zum Teil entgegen getreten, so dass sich das BAG erneut mit der Frage befassen muss (LAG Baden-Württemberg 26. September 2013 - 6 Sa 28/13 -, anhängig beim BAG unter dem Az. 7 AZR 896/13; 21. Februar 2014 - 7 Sa 64/13 -, anhängig beim BAG unter dem Az. 7 AZR 196/14).

Die Praxis hat sich auf die vom BAG vorgenommene Auslegung allerdings eingestellt. Sie wird überwiegend als in der Sache vernünftige Interpretation gesehen.

Der Gesetzgeber sollte angesichts der Bedenken an der Praxistauglichkeit des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einerseits, den rechtlichen Anwendungsschwierigkeiten andererseits eine Ent-scheidung treffen, ob § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG iSd. bisherigen Rechtsprechung des BAG zu verstehen ist oder nicht. Nur so kann Rechtssicherheit hergestellt werden.

6. § 613a BGB und Insolvenz

Das BAG hat bereits mit Urteil vom 17. Januar 1980 - 3 AZR 160/79 - die Haftung des Er-werbers eines Betriebs nach § 613a Abs. 2 BGB im Konkurs - heute: Insolvenz - für bereits entstandene Ansprüche im Wege der teleologischen Reduktion ausgeschlossen. Zur Be-gründung hat es ausgeführt, dass die Arbeitnehmer ansonsten einen neuen zahlungskräfti-gen Haftungsschuldner für bereits entstandene Ansprüche erhielten und im Vergleich zu an-deren Gläubigern und vor allem auch gegenüber den ausgeschiedenen Arbeitnehmern un-angemessen bevorzugt würden.

Mit Wirkung zum 1. Januar 1999 wurde die neue Insolvenzordnung (InsO) verabschiedet und wie kaum ein anderes Gesetz bereits vor Inkrafttreten häufig geändert. Das Recht der Arbeitsverhältnisse wurde dabei völlig neu strukturiert. Mit einer der ersten Entscheidungen zur Insolvenzordnung hat das BAG am 20. Juni 2002 - 8 AZR 459/01 - unter Verweis auf das Urteil vom 17. Januar 1980 entschieden:

1. An den Grundsätzen der Haftungsbeschränkung eines Betriebserwerbers im Konkurs wird auch unter der Geltung der Insolvenzordnung festgehalten.

2. Danach ist die Haftung eines Betriebserwerbers gemäß § 613a BGB nicht be-schränkt, wenn er den Betrieb vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens übernommen hat.

Zur Begründung hat es aufgeführt (vgl. II. 5. b) cc) der Entscheidungsgründe, juris Rdn. 56):

„Da sich der Gesetzgeber bewusst war, dass die Übernahmehaftung des Erwerbers eine Sanierung erschweren kann, wurde die Regelung in § 419 BGB (Haftung des Vermögensübernehmers) im Zuge der Neuregelung des Insolvenzrechts vollständig aus dem BGB gestrichen (BT-Drucks. 12/2443 S 94, unter B 3 f aa). Gleichwohl ist § 613a BGB unverändert geblieben. Zudem trägt der im Zuge der Neuregelung des Insolvenzrechts neu gefasste § 27 Nr. 1 ArbnErfG der eingeschränkten Erwerberhaf-tung ebenfalls Rechnung. Danach tritt nämlich der neue Betriebsinhaber, der die Diensterfindung des Arbeitnehmers mit dem Geschäftsbetrieb erwirbt, nur für die Zeit von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an in die Vergütungspflicht des Arbeitge-bers nach § 9 ArbnErfG ein. Dieser Regelung lässt sich entnehmen, dass der Ge-setzgeber an der etablierten teleologischen Reduktion der Haftungsfunktion des § 613a BGB festhalten wollte (…). Ist nämlich der Betriebsübergang nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt, haftet der Betriebserwerber nach der Rechtspre-chung des Bundesarbeitsgerichts gemäß § 613a BGB für solche Ansprüche nicht, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Bei dieser Sachlage ist die Annahme gerechtfertigt, der Gesetzgeber gehe davon aus, dass mit dem Ge-samtpaket der Kündigungserleichterungen (§§ 125 ff. InsO) die negativen Folgen des § 613a BGB in der Insolvenz beseitigt oder zumindest gemildert werden (…).“

Bislang hat der Gesetzgeber eine Klarstellung im Gesetz nicht vorgenommen. Dies wäre aber schon deshalb wünschenswert, weil der Große Senat des BAG am 13. Dezember 1978 - GS 1/77 - die Stellung von Sozialplanabfindungen im Konkurs als Konkursforderungen im Range vor § 61 Nr. 1 KO eingeordnet hat, das Bundesverfassungsgericht hierin aber im Be-schluss vom 19. Oktober 1983 - 2 BvR 485/80 - eine unzulässige Rechtsfortbildung gesehen und den Rechtsstreit an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen hat.

Um die an sich fortbestehende Rechtsunsicherheit, ob die Rechtsprechung des BAG zur Einschränkung der Haftung nach § 613a Abs. 3 BGB - erneut - eine unzulässige Rechtsfort-bildung beinhaltet, zu beseitigen, sollte der Gesetzgeber - sofern er sich der Rechtsprechung des BAG anschließt - eine Ergänzung des § 613a Abs. 3 BGB bzw. des § 128 Abs. 3 InsO z.B. wie folgt erwägen:

§ 613 a Abs. 3 Satz 2 BGB neu:
Absatz 2 gilt nicht für den Erwerber/neuen Inhaber in der eröffneten Insolvenz.

oder

§ 128 Abs. 3 InsO neu
§ 613a Abs. 2 BGB gilt nicht für den Er-werber in der eröffneten Insolvenz.